Erwin Rousselles Übersetzung von Laozi – Führung und Kraft aus der Ewigkeit (Dau-Dö-Ging) aus dem Jahr 1942 ist eine bemerkenswerte deutsche Übertragung des klassischen daoistischen Textes. Rousselle, ein Sinologe, bringt dabei sowohl seine philologische Expertise als auch ein tiefes Verständnis der daoistischen Philosophie ein. Sein Ansatz zeichnet sich durch eine sehr sprachnahe und fast wortgetreue Übertragung des „Urtextes“ aus. Dies erlaubt den Leser:innen, einen authentischen Zugang zu den ursprünglichen Inhalten und dem Sprachfluss des Daoismus zu erhalten.
Ein herausragender Aspekt dieser Übersetzung ist die klare und gleichzeitig poetische Sprache, mit der Rousselle die schwierigen und oft abstrakten Konzepte des Tao Te Ching vermittelt. Obwohl manche Formulierungen heute als altmodisch wirken könnten, tragen sie dazu bei, die Erhabenheit und das Mystische des Textes zu bewahren. Besonders die Idee der „Kraft aus der Ewigkeit“ (vergleichbar mit dem Begriff „De“ in anderen Übersetzungen) wird hier auf eine Weise interpretiert, die der metaphysischen Natur des Dao gerecht wird.
Rousselle versucht, nicht nur den Text in seiner semantischen Genauigkeit, sondern auch den philosophischen Kern des Daoismus zu erfassen: das Streben nach einem Gleichgewicht zwischen dem Tun und dem Nichttun (Wu Wei), die Betonung der Natürlichkeit und des Rückzugs von menschlicher Überanstrengung, um im Einklang mit der kosmischen Ordnung zu leben. Diese Konzepte werden im Buch als grundlegend für eine „Führung“ verstanden, die aus der Harmonie mit der ewigen Kraft des Dao entspringt.
Die 1942 veröffentlichte Ausgabe im Insel Verlag war zu ihrer Zeit auch als ein Versuch zu verstehen, das chinesische Denken und insbesondere den Daoismus einem breiten deutschen Publikum zugänglich zu machen, das sich für asiatische Philosophie und Weisheitslehren interessierte. In einer Zeit der weltgeschichtlichen Umbrüche kann das Werk auch als Reflexion über Beständigkeit und inneres Gleichgewicht gelesen werden – Themen, die über kulturelle und zeitliche Grenzen hinaus von Relevanz sind.
Kritisch betrachtet ist diese Übersetzung, wie viele frühe Übersetzungen des Tao Te Ching, durch die Zeit und den Kontext ihrer Entstehung geprägt. Manche Leser:innen könnten die Sprache als veraltet empfinden, und es gibt Abschnitte, die in moderneren Übersetzungen vielleicht zugänglicher wirken. Trotzdem hat Rousselles Arbeit einen großen Wert für das Verständnis des klassischen Daoismus in der deutschen Geistesgeschichte.
Insgesamt bietet diese Übersetzung einen wertvollen Zugang zur daoistischen Philosophie und bleibt ein bedeutendes Werk der deutschen Übersetzungsgeschichte. Laozi – Führung und Kraft aus der Ewigkeit ist nicht nur ein spirituelles, sondern auch ein literarisches Meisterwerk, das tiefe Einblicke in das Wesen des Daoismus und dessen Verständnis von Macht, Führung und Harmonie bietet.