Kleiner Exkurs: Über die Relativität des Geschmacksempfindens
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1. |
"Schmecken bedeutet eigentlich: riechen" |
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Über
die biologischen Grundlagen des Geschmacks
Auf der Zunge befinden sich ungefähr 9.000 Geschmacksknospen. Eine Geschmacksknospe ist ungefähr 0,07
Millimeter hoch und 0,05 Millimeter breit. In jeder
Geschmacksknospe sind 15 bis 40 Sinneszellen zusammengefasst. Die
Sinneszellen sind nicht spezialisiert, sondern können prinzipiell jede
Geschmacksrichtung wahrnehmen. Sie
sind an ihrer Basis direkt mit den Geschmacksnerven verbunden. Zwischen den
Geschmacksknospen befinden sich
Speicheldrüsen, denn nur im wässrig gelösten Zustand sind Aromastoffe
wahrnehmbar. Riechen Die Erfahrung, dass Duft und Geschmack zweierlei ist, hat jeder Teetrinker schon einmal gemacht, oft zur großen Enttäuschung: denn so manche Teeblätter duften ausgesprochen intensiv und aromatisch, wohingegen ihr Aufguss geschmacklich trotzdem recht flau und unspektakulär ausfallen kann. |
2. |
"Nicht
nur wir ändern unseren Geschmack - auch das Älterwerden ändert ihn" |
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Altersbedingte
Veränderungen des Geschmacksempfindens
Schmecken Riechen Beides zusammen führt dazu, dass wir nicht nur immer intensivere Aromen (salziger/süßer) suchen, sondern uns auch das Empfinden für feine Nuancen immer mehr abhanden kommt. Obwohl eine intensive Auseinandersetzung und z.B. ein berufliches Training von Geschmacks- und Geruchssinn mit einer hohen Differenzierungsfähigkeit und einem bewussten Benennen der Sinneseindrücke ein Gegengewicht zu einer altersbedingten Verminderung der Geschmacks- und Geruchswahrnehmung bilden kann, ist letztere nicht wirklich aufzuhalten. Für Teetrinker bedeutet dies die traurige Einsicht, dass die Wahrnehmung von vielen feinen Aromen verlorengeht, Tees ihre Charakteristik verlieren und der aktuelle Geschmackseindruck nicht mehr mit den Erfahrungswerten der Vergangenheit überein stimmt. Teequalitäten können nicht mehr richtig beurteilt werden. Am stärksten dürften hiervon Grüntee-Trinker betroffen sein. |
3. |
"Bei Schnupfen sind alle Geschmäcker mau" |
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Gesundheitsbedingte
Veränderungen des Geschmacksempfindens
Riechen Hyposmie nennt man den teilweisen Verlust des Geruchssinns. Dies tritt häufig nach Virusinfektionen, insbesondere durch Influenzaviren, auf. Mögliche Ursachen einer Hyposmie sind: - Einnahme von Antihistaminen, Antidepressiva oder ACE-Hemmern
Schmecken |
4. |
"Wenn die Mäuse satt sind, schmeckt selbst das Mehl bitter" |
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Wie
wir uns selber den Geschmack verderben
Stärker als allgemein angenommen beeinträchtigen wir unseren Geschmack auch selbst. Das beginnt schon mit dem morgendlichen Zähneputzen, nach dem sich ein feines Teearoma erst einmal nicht mehr durchsetzen kann, und liegt an den in fast allen Zahncremes beinhalteten starken Geschmacks- und Aromastoffen. Was den Speichelfluss anregen und den Atem nachhaltig desodorieren soll, beeinträchtigt erst einmal das feine Geschmacksempfinden. Abhilfe bieten da Zahncremes ohne solche Zusätze, die sich hauptsächlich im Naturkosthandel finden. Natürlich spielt die Mundhygiene eine wesentliche Rolle für das Geschmacksempfinden. Der sich nachts ergebende Belag auf der Zunge stellt morgens eine deutliche Geschmacksbeeinträchtigung dar. Schon das Essen eines Apfel reinigt hier den ganzen Mundraum und seine Fruchtsäuren bewirken sogar eine spürbare Steigerung der Geschmackssensitivität. Wer vor dem ersten Tee nichts frühstücken mag, dem hilft eine sanfte Zungenreinigung mit einem speziellen Zungenreiniger. Ebenso behindern auch bestimmte Ernährungsgewohnheiten das Geschmacksempfinden: Scharfe und strenge Gewürze wie Chili, Pfeffer oder Knoblauch. Was wir hier als "scharfen Geschmack" bezeichnen, ist in Wirklichkeit eine Schmerzmeldung der Geschmacksnerven, die daraufhin ihre Sensitivität absenken. Auch Alkohol und Rauchen greifen stark in die Mundflora ein, mit gravierenden Folgen für den Geschmack, bis hin zu krankhaften Veränderungen. Und obwohl es gang und gäbe ist, Tee morgens zum Frühstück, nachmittags zum Kuchen oder abends zum Essen zu trinken – parallel zum Essen gehen feine Teearomen ziemlich unter. Auch
die
Temperatur, mit der wir Essen oder Tee zu uns nehmen, hat Einfluss
auf unser
Geschmacksempfinden. Sowohl sehr Heißes als auch sehr Kaltes irritieren die
Mundschleimhaut bis hin zum Schmerz und hemmen die Wahrnehmung der
Geschmacksknospen. Speiseeis muss viele leicht flüchtige Aromen enthalten,
um die Lähmung der Geschmacksknospen im Mundraum durch starke Duftstoffe
auszugleichen. Heißes setzt von sich aus ein Maximum an Aromen für Nase
und Zunge frei, überschreitet aber ab 50° C den gesundheitlich zuträglichen Bereich, weil das
Schmerzempfinden das Geschmacksempfinden im Mundraum zu überlagern beginnt. Die eigene Erfahrung bestätigt außerdem, dass der Körper bei leichtem Hunger auch über eine höhere Sensitivität für feine Geschmacksdifferenzen verfügt. Lebensmittelverkostungen werden deshalb von Fachleuten vor der ersten Hauptmahlzeit vorgenommen. Und auch der gesunde Menschenverstand besagt, dass eine Weinverkostung nicht auf vollen Magen erfolgt. Auch hier sind die Ursachen handfest biologischer Art: Die Geschmackssensitivität ist auch an den Appetit gekoppelt. Nach Stillung des Hungergefühls verlagert der Körper seine Aufmerksamkeit und Energie auf das Verdauen und reduziert die anderen Funktionen (einschließlich der geistigen ...). Man kann das Geschmacksempfinden allerdings auch mit einfachen Mitteln steigern: durch längeres Kauen und intensives Bewegen im Mund lösen sich mehr Duftmoleküle, so dass zusätzliche Riechreize entstehen. Und so erhalten selbst Schlürfen und Schmatzen, zwei kulturell bei uns verpönte, aber z.B. in China völlig übliche Essensgewohnheiten, durchaus ihre gustatorische Rechtfertigung: Beides intensiviert durch erhöhten Luftaustausch im Nase-Rachenraum deutlich die Geschmackswahrnehmung. |
5. |
"Weil nicht
sein kann, was nicht sein darf " |
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Psychische Einflüsse auf das Geschmacksempfinden
Zahlreich sind die gegenseitigen Beeinflussungen unserer Sinnesreize und damit die unterschwelligen Manipulationen, denen auch unser Geschmackssinn im normalen Leben ausgesetzt ist. In einem viel stärkeren Maße, als es uns vor Augen steht, spielen dabei psychische Faktoren eine Rolle.
Ein Versuch kann abschließend noch einen gänzlich anderen
Bereich der Beeinflussung aufzeigen. Er beschäftigt sich mit der
geschmacklichen Beurteilung von Wasser. (Und da dem Wasser bei der
Teezubreitung eine zentrale Rolle zukommt, passt dieses
Beispiel hier sehr gut.)
Wird zu einem Geschmacks-Eindruck "metallisch" statt "sauer" assoziiert und stehen wir Metall aufgrund negativer Erfahrungen im Alltag eher ablehnend gegenüber, wohingegen wir aber "sauer" für nicht weiter störend halten, so wird sich die einseitige Ablehnung auf das Geschmacks-Empfinden und damit auf unsere Geschmacks-Bewertung auswirken. Wäre die Assoziation "metallisch" neutral belegt, so würden wir den Geschmacks-Eindruck entsprechend empfinden und vielleicht eher mit fremdartig, originell oder gar interessant bewerten. Das Geschmacks-Empfinden vollzieht sich nicht nur auf einer Stufe, die sich unserem Bewusstsein entzieht, sondern wird auch in einem großen Maße unnachvollziehbar geprägt und kann sich ändern. Wir können somit nur noch über unser Geschmacks-Empfinden berichten, aber nicht mehr diskutieren und schon gar nicht ein Gut und Schlecht definieren. Auch hier bleibt das Empfinden für jeden Einzelnen ein zutiefst subjektives. Wir entwerfen nicht unsere eigene Realität, sondern erschaffen sie durch unsere eigene Vorstellungs- und Empfindungswelt, in die wir eingebunden sind und aus der wir uns auch kaum befreien können. |
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